IV.

Zu Beginn der 1790er Jahre heiratete Wineberger noch ein zweites Mal, und zwar Philippina Koeber (Keber), die Schwester des möglicherweise aus der Gegend von Ansbach stammenden Oboisten Johann Ludwig Koeber, der seit etwa 1790 der Wallersteiner Hofkapelle angehörte 84. Diese zweite Trauung ist im Wallersteiner Kirchenbuch nicht dokumentiert; es ist also davon auszugehen, dass sie an einem anderen Ort stattfand, vielleicht sogar in Ansbach. Bei den insgesamt drei Kindstaufen des Ehepaars Wineberger, die zwischen dem 16. August 1792 und dem 20. November 1795 in der Wallersteiner Pfarrmatrikel registriert sind, 85 firmieren in zwei Fällen neben dem Schwager Koeber angesehene Persönlichkeiten der Ansbacher Hofmusik als Paten, darunter der Cellist und Musikdirektor Johann Jäger 86 (1748 - nach 1826).

Im Lauf der 1790er Jahre wurde Winebergers finanzielle Lage immer prekärer. Trotz einer nochmaligen Aufbesserung um 100 Gulden Ende Februar 1792 87 wurde es für ihn und seine Familie immer schwieriger zu überleben. Der Grund für die dramatische Zuspitzung seiner Situation war, anders als bei so manchem seiner Wallersteiner Musikerkollegen in jener Zeit, wohl nicht in erster Linie Unvermögen im Umgang mit Geld, sondern vielmehr die allgemeine Teuerung, die durch die andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem revolutionären Frankreich und den übrigen europäischen Mächten bedingt war. Hinzu kamen die desolaten Finanzen des Fürstlichen Hauses, die dazu führten, dass die Hofkasse mit den Gehaltszahlungen immer wieder in Verzug geriet.

In seiner Not bat Wineberger im Herbst 1796 den Fürsten um Erlaubnis, mit seinem Schwager Koeber auf Konzertreisen gehen zu dürfen, um so zusätzliche Einkünfte zur Deckung seiner Schulden zu erzielen. Als sein Gesuch abgelehnt wurde, wandte er sich an Hofmusikintendant von Beecke 88:

Wohlgeborner Herr Major

Höchstzuverehrender H: Intendant

Nach dero an mich erlassene Worte ist mir meine unterthänigste Bitte rund abgeschlagen; wieder alles Vermuten. – Vielleicht bin ich der erste, den es trifft. Niemalen belästigte ich meinen Durchlauchtigsten Fürsten, obwolen geringer als viele andere Musiker stehe. Betteln lernt der Mann nicht, der fleißig arbeitet und ordentlich lebt, wird aber auch der Kanal verstopft, daß ich mir auswärts kein Geld verdienen darf, dann ists gefehlt. Schon lange war’s mein Trost, daß man mich auswärts schäzet, und war mir Ersaz für die schiefen Gesichter mit denen hier meinen Genie Kindern begegnet worden.

Seine Durchlaucht der Fürst sind doch gegen Jedermann so gnädig – erlaubten Witt und Beer zween Jahre nacheinander 6. und 9. monathliche Reise 89  zu machen – warum mir und meinen Schwager nicht auf etwelche Wochen? Ists Intrique neidender Höflinge? Oder sähe man mich lieber mit Lumpen und Schulden bedekt? Deutliche Beweise habe ich auch, daß man mir schon mist göntte, daß ich für S.D. den Prinzen Carl v. Bartenstein 90 arbeite. Aber alles bei Seite. [...] Nach dem hohen Willen meines gnädigsten Fürsten füge ich mich – murre nicht dagegen – kann und will nicht gegen den Strom fahren. Ich bin nach aller Überzeugung immer ein gehorsamer Diener geweßen.

Ihnen, verehrungswürdigster H: Intendant überlasse ich alles, der Baum fällt ja nicht auf einen Streich – Sie haben gewis keine Worte gespart unsern gnädigsten Fürsten zur Erlaubnis zu bereden; ihr edler Karakter und Liebe für die Untergebenen ist mir Bürge, daß Sie noch einmal und nachdrüklich Serenißimum sprechen werden. Noch ein ofenes wahres Bekänntniß:

Seit 6 Wochen arbeitete ich Tag und Nacht hindurch, brach mir viele Stunden des süßen Schlafes, nun habe ich meine Arbeit zum Zwekke vorhabender Reise geendet. Unter dieser sind auch Opera Stüke die ich habe komponiren müssen und unumgänglich nothwendig selbsten an Ort und Stelle bringen und dirigiren muß /: ich sündigte auf die Gnade meines Durchl. Fürsten, die jeder billig fordern kann :/ - Geräth nun diese Reise in Stekken, so ist meine Arbeit – mein Lohn – null. Ist wohl der Mann, der ein Feld besäet nicht würdig es auch einschneiden zu dürfen, oder soll er gedultig zusehen, wenn es Fremde thun - !

Betrachten Euer Wohlgeborn meine heutige mündliche Bitte und diese geschriebenen Worte etwas genauer und handeln nach Ihrem angebornen menschenfreundlichen Kar- rakter – ich getröste mich dann in nächster zu hoffender Antwort etwas beßernn, der ich mit schuldiger Hochachtung und Respect lebenslänglich geharre

Des wohlgebornen und höchstzuverehrenden Herrn Musik Intendanten Unterthänigst gehorsamster

Paul Wineberger“

 

Wineberger verließ den Wallersteiner Hof endgültig erst im Herbst 1798. Die Gründe hierfür waren aber anscheinend nicht nur finanzielle: „Unglückliche häusliche Verhältnisse, welche Wineberger immer nur leise und mit Seufzern berührte, und die das Zartgefühl gegen den edeln, duldenden und verzeihenden Freund hier zu erörtern verbietet, gaben ihm die erste Auffo[r]derung, nicht allein auf Wallerstein sein irdisches Wirken zu be- schränken. Unzufriedenheit mußte zuerst wieder den alten Gedanken in ihm beleben, die Welt zu sehen.“ 91  Frau und Kinder ließ er zurück und begab sich mit dem Schwager Koeber auf eine Konzertreise, die die beiden Musiker nach Norddeutschland führte 92. Am

23. Dezember 1798 war in den „Hannöverischen Anzeigen“ folgende Ankündigung zu lesen 93: „Die Kammermusiker des Fürsten von Wallerstein, Violoncellist Paul Winneberger, Direktor der fürstlichen Jagd- und Tafelmusik, sowie der Oboist Koerber [sic] tragen im Saal der Londonschenke ‚ausgesuchte Concerts‘ vor.“

 

84 Zu Koeber vgl. Piersol (wie Anm. 3), S. 433-436.

85 ArchBA, MV Wall., Taufen 1750-1826, 16.8.1792, 4.1.1794, 20.11.1795. Bei der Taufe von Winebergers einziger Tochter Friederica Philippina Paulina (16.8.1792) stand der Nördlinger Musikdirektor Christoph Friedrich Wilhelm Nopitsch (1758-1824) mit seiner Gemahlin als Pate zur Verfügung. Zu Nopitsch vgl. Friedhelm Brusniak / Franz Krautwurst: Art. „Nopitsch, Christoph Friedrich Wilhelm“, in: 2MGG, Personenteil, Bd. 12. Kassel 2004, Sp. 1174-1176.

86 Vgl. u. a. Ernst Ludwig Gerber: Historisch-biographisches Lexicon der Tonkünstler, 1. Th. Leipzig 1790, Sp. 683 f.; Carl Julius Adolph Hoffman: Die Tonkünstler Schlesiens. Breslau 1830, S. 226f.

87 FÖWAH, Dienerakten Wineberger, III.7.10c-1.

88 Wineberger an Ignaz von Beecke, [Wallerstein, wohl Herbst 1796]; FÖWAH, Dienerakten Wineberger, III.7.10c-1.

89 In den Jahren 1794 und 1796 unternahmen die Hofmusiker Franz Joseph Beer und Friedrich Witt (1770-1836) ausgedehnte Konzertreisen; von der zweiten Reise, die die beiden nach Wien führte, kehrten sie nicht mehr nach Wallerstein zurück; vgl. hierzu Günther Grünsteudel: Wallerstein – Wien – Würzburg. Friedrich Witt: Stationen seines Lebens und Wirkens, in: Rosetti-Forum 7 (2006), S. 27-44, hier S. 29-32.

90 Karl Joseph zu Hohenlohe-Bartenstein; vgl. auch Anm. 80.

91 Trummer (wie Anm. 2), S. 367.

92  Am 26.9. bat Koeber den Fürsten um die Erlaubnis, seinen „Schwager Wineberger, welcher dermals eine Reise nach dem nördlichen Deutschland unternimmt, auf sechs Monate begleiten zu dürfen“; FÖWAH, Dienerakten Koeber, III.5.6.3c-2.

93 Zit. nach Heinrich Sievers: Hannoversche Musikgeschichte, Bd. 1. Tutzing 1979, S. 321 f.

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