I.

Paul Anton Wineberger 4 wurde am 7. Oktober 1758 in Mergentheim, seit dem 16. Jahrhundert Residenz des Hoch- und Deutschmeisters des Deutschen Ordens (heute Main-Tauber- Kreis, Baden-Württemberg), geboren 5. Der Vater, Johann Michael Wineberger (* 26. Januar 1704 6, † 9. Juni 1772 7), stammte aus Wertach im Allgäu und war der Sohn eines Bäckers 8, die Mutter, Maria Magdalena (* 5. August 1721 9, † 27. April 1800 10), die Tochter des Mergentheimer Mesners und Hofmusikers Wolfgang Heller 11. Ein gutes halbes Jahr nach der Eheschließung am 10. Mai 1740 12 erhielt Vater Wineberger das Bürgerrecht 13. In seinem Beruf als Stuckateur scheint er es zu gewissem Wohlstand gebracht zu haben 14. 1753 nannte er ein Haus in der Frommengasse nahe dem Schloss sein Eigen, dazu zwei Gärten, zwei Äcker und fünf Weinberge 15.

Von den fünf Kindern des Ehepaars Wineberger 16 zeigte wohl Paul Anton am meisten Talent für die Musik. Früh schon wurde er hierin von Magister Bernhard Heilig, der Lehrer an der Mergentheimer Lateinschule war und selbst mehrere Instrumente spielte, gefördert 17. Seit seinem neunten Lebensjahr war Wineberger Altist in der Kapelle des Hoch- und Deutschmeisters Karl Alexander von Lothringen (1712-1780, reg. seit 1761), mit vierzehn half er bereits in der Dominikanerkirche St. Marien an der Orgel aus, „von deren Organisten er das Klavierspiel lernte.“18 Die offizielle Bestallung als Hofaltist erfolgte erst am 15. Juni

1772: „Nachdem beÿ hochfürstl. Regierung beliebt worden ist, die erledigte Altisten-Stelle dem Studenten Winneberger auf 2. Jahr lang zu übertragen, als wird solches ihme Winneberger zur Consolation, der hochfürstl. Trapponeÿ aber mit dem Befehl bekandt gemacht, die gewöhnliche Bestallung mit 4. Malter Korn, und 4. Eÿmer Wein von dem Tag der erledigten Stelle ihme Winneberger gegen quittung verabfolgen zu lassen, und sich hierdurch zu legitimiren.“ 19

Vermutlich ab 1775 studierte er an den von ehemaligen Jesuiten geführten Priesterseminaren in Würzburg und später Heidelberg und konnte hier auch seine musikalische Ausbildung vertiefen 20. Anfang 1778 empfahl Magister Heilig den „zwanzigjährigen Jüngling“ nach Mannheim, wo er an dem seit 1756 bestehenden und seither von dem Jesuitenpater Alexander Keck (1724-1804) geleiteten Seminarium musicum „Lehrer der zweiten und dritten Klasse“ sowie Organist an der „großen Hofkirche“, der früheren Jesuitenkirche, wurde 21.

Am 30. Dezember 1777 war Kurfürst Maximilian III. Joseph von Bayern kinderlos gestorben und mit ihm die bayerische Linie der Wittelsbacher erloschen. Aufgrund der Hausverträge war Bayern an Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz (1724-1799) gefallen, worauf dieser seine Residenz nach München verlegen musste. Im Spätsommer 1778 übersiedelte der Mannheimer Hof in die bayerische Hauptstadt und mit ihm große Teile der Hofkapelle. Unter den in Mannheim verbliebenen Musikern waren der 67-jährige Kapellmeister Ignaz Holzbauer 22 (1711-1783) und der Vizekapellmeister Georg Joseph („Abbé“) Vogler 23 (1749-1814), die beide Wineberger Unterricht in Tonsatz erteilten. Zu dem Kreis derer, die den jungen Musiker maßgeblich beeinflusst haben, gehörten außerdem der ihm väterlich-freundschaftlich verbundene Geiger Georg Zarth 24 (1708-1780) und der Konzertmeister des Mannheimer Orchesters Ignaz Fränzl 25 (1736-1811), bei denen er Violinunterricht erhielt. Fränzl war es auch, der Wineberger riet, zum Violoncello überzuwechseln, da nach dem ‚Exodus’ so vieler Kapellmitglieder im verbliebenen Mannheimer Orchester ein Mangel an Cellisten herrschte. Rasch scheint er gute Fortschritte auf diesem Instrument gemacht zu haben, denn als der erste Cellist des Orchesters, Franz Danzi 26 (1763-1826), „auf Reisen gegangen“ war, nutzte Fränzl „die Gelegenheit, um unsern Wineberger als Accessisten 27 anzunehmen, als welcher er bereits unter des später nach Hamburg versetzten Hönicke’s 28 Direction bei der Oper Rosamunde 29  im Orchester die Violoncellparthie versah.“ 30

Wineberger verbrachte etwa zweieinhalb Jahre in Mannheim 31, ehe er im Nördlinger Ries in die Hofkapelle des Fürsten Kraft Ernst zu Oettingen-Wallerstein (1748-1802) eintrat: „So sehr nun auch seinen musikalischen Fortschritten und Bekanntschaften der Aufent- halt in Manheim förderlich war, so strebte der junge, lebhafte Geist doch weiter, und ergriff die nächste Gelegenheit, um seine Kräfte in einem neuen Wirkungskreise zu versuchen. In einer der regelmäßigen Vacanzen machte er eine Lust- und Kunstreise nach seinem Geburtsorte Mergentheim. Hier traf er den Hofgeigenmacher Tiefenbrunner von Wallerstein 32, und vernahm von ihm, daß in der dortigen angesehenen Kapelle ein Violoncell fehle, und für ihn anzukommen sey. Wineberger ließ sich leicht von ihm über- reden, ging mit ihm nach Wallerstein und wurde unverzüglich als Violoncellist für die Hofmusik des kunstliebenden Fürsten angenommen. So geschah es nach einem dritte- halbjährigen 33 Aufenthalt in Manheim, daß er im Herbst 1780 sich zu Wallerstein niederließ.“ 34

 

4 In einer Reihe von Veröffentlichungen (vgl. Anm. 3) findet sich auch die Schreibweise „Winneberger“, die der Komponist selbst, soweit dem Autor bekannt ist, nie benutzt hat, die wohl aber in ihn und seine Familie betreffenden Aktenstücken zu finden ist. Die eigen- händig unterzeichneten Schriftstücke, die autographen Partituren und Stimmen und selbst die Abschriften und gedruckten Noten weisen abgesehen von wenigen Ausnahmen bei Letzteren durchgängig die Schreibweise mit nur einem ‚n’ auf.

5  Diözesanarchiv Rottenburg (DAR), Mergentheim, Pfarrei St. Johannes, B6, S. 204. – Geburts- und Taufdatum sind im 18. Jahrhundert meist identisch.

6 Zu entnehmen dem Heiratseintrag mit Maria Magdelena Heller am 10.5.1740 im Kirchen- buch der Pfarrei St. Johannes in Mergentheim (DAR, B6, S. 31).

7 DAR, Mergentheim, Pfarrei St. Johannes, B6, S. 237.

8 Wie Anm. 6.

9 DAR, Mergentheim, Pfarrei St. Johannes, B4.

10 DAR, Mergentheim, Pfarrei St. Johannes, B12.

11 Wie Anm. 6. Dass Heller Mesner in der Hofkirche war, entnehmen wir u. a. dem Taufeintrag seiner Tochter (wie Anm. 9: „famulus Sacelli aulici“), dass er auch als Hofmusiker Verwendung fand, dem Verzeichnis Mergentheimer Hofmusiker für 1671-1774: „Wolfgang Heller Hofmusicus 1736.“; Stadtarchiv Bad Mergentheim (StadtABM), Rep 577 aus Bestand: StAL B 236 Bü 111. – Mein besonderer Dank gilt Frau Rosemarie Volz, Bad Mergentheim, die mir freundlicherweise die von ihr eruierten und die Familie Wineberger betreffenden Quellen im StadtABM zugänglich machte.

12 Wie Anm. 6.

13 StadtABM, Rep 227e, Exzerpte aus verschiedenen Mergentheimer Quellen zu Johann Michael Wineberger, vermutlich von Hauptmann a. D. Schmitt (um 1900).

14 Johann Michael Wineberger war nicht nur in Mergentheim tätig (u. a. bei der Ausgestal- tung des dortigen Residenzschlosses), sondern auch für auswärtige Auftraggeber: 1756 etwa stuckierte er die Pfarrkirche St. Martin im nahe gelegenen Königheim (freundlicher Hinweis von Frau R. Volz), 1766 die Stadtkirche von Aalen (vgl. Ulrich Thieme et al. [Hrsg.]: Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler, Bd. 36. Leipzig 1947, S. 70).

15 StadtABM, Nahrungsbuch 1753, 4. Stadtviertel, „Schazungs Anlage Johan(n) Michaël Winneberger“. Nach dem Tod ihres Mannes und nachdem ihre Kinder aus dem Haus waren, nahm Paul Winebergers Mutter die Witwe Anna Keller mit ihrer Familie bei sich auf (StadtABM, J 24 Kirchensachen, „Catalogus Parochianor. Mergenth. Pro 1780“, Nr. 32). 1782 verkaufte sie das Haus für 700 fl.; im Kaufvertrag vom 17. Januar wird ein Johann Fischer als Käufer genannt (StadtABM, E 9 Kaufverträge).

16  In dem Verzeichnis der Pfarreimitglieder von 1780 (wie Anm. 15) werden aufgelistet: „Theresia † / Paulus Antoni. Manhemii / Franz. Manhemii / Philip. Joseph. Miles [ein Wort nicht lesbar] Viennae [der Zusatz ab „Miles“ wurde später gestrichen] / Catharin. Elisabeth. peregr.[ina]“.

17 Trummer (wie Anm. 2), S. 365. Heilig hatte am Heidelberger Jesuitenkolleg studiert und dort auch eine fundierte musikalische Ausbildung erhalten. Danach war er zunächst Rektor in Grünsfeld gewesen, ehe er 1752 an die Lateinschule des nahen Mergentheim kam, wo er bis 1777 wirkte; vgl. Dr. Schermann: Geschichte des lateinischen Schulwesens der Deutschordensstadt Mergentheim (1555-1809), in: Geschichte des humanistischen Schulwesens in Württemberg, Bd. 2/2. Stuttgart 1920, S. 1078 f. (freundlicher Hinweis von Frau R. Volz).

18  Trummer (wie Anm. 2, S. 366) berichtet auch, dass er „mit seinem neunten Jahr […] bereits als Hofaltist zu Mergentheim mit einem Gehalt von einhundert Thalern, vier Maltern Korn und zwei Eimern Wein angestellt“ wurde, was sicher so nicht zutreffend ist; sehr wahrscheinlich wurde er zunächst als (unentgeltlicher) Chorknabe in die Kapelle aufgenommen.

19  Beilagen zu den Rechnungen des Deutschen Ordens; Staatsarchiv Ludwigsburg, Be- stand B 231 Bd 3378. Nachzuweisen ist Wineberger anhand der Ausgaben für Wein in den Rechnungen von 1772 bis Mitte 1777 (B 231 Bd 3100).

20 Trummer (wie Anm. 2), S. 366: „Nachdem er, siebzehn Jahr alt, seine Tenorstimme [sic] verloren hatte, widmete er sich den theologischen Studien, und besuchte zu dem Ende Würzburg und Heidelberg.“ Belegen lässt sich dies jedoch nicht. Nach der Aufhebung des Jesuitenordens im Jahr 1773 blieben die Kollegien meist unangetastet; die Patres wurden zu Weltgeistlichen gemacht und behielten in aller Regel ihre früheren Funktionen. Bei Mendel-Reißmann (wie Anm. 3, S. 377) findet sich erstmals die später kolportierte Behauptung, Wineberger habe in beiden Städten die Universitäten besucht. In den ge- druckten Universitätsmatrikeln taucht jedoch sein Name nicht auf, wohl aber in Heidelberg unter dem 12.12.1768 der seines älteren Bruders Philipp Joseph als „theologiae candi- datus“; vgl.: Gustav Toepke: Die Matrikel der Universität Heidelberg, 4. Theil. Heidelberg 1903, S. 246.

21 Trummer (wie Anm. 2), S. 366. Der berühmteste Zögling des Seminarium war zweifellos der in Miltenberg/Odenwald geborene Komponist Joseph Martin Kraus (1756-1792). Zur Geschichte der Schule vgl. Rüdiger Thomsen-Fürst: Zarte Stimmen zu dem Lob Gottes. Das Seminarium musicum in Mannheim (1756-1801), in: Festschrift 125 Jahre Chor der Jesuitenkirche Mannheim. Mannheim 2003, S. 13-29.

22 Vgl. Bärbel Pelker: Art. „Holzbauer, Ignaz“, in: 2MGG, Personenteil, Bd. 9. Kassel 2003, Sp. 265-275.

23 Vgl. Walter Reckziegel: Art. „Vogler, Georg Joseph“, in: MGG, Bd. 13. Kassel 1966, Sp. 1894-1905.

24 Vgl. Walter Lebermann: Art. „Zarth, Georg“, in: MGG, Bd. 14. Kassel 1968, Sp. 1022 f.

25 Vgl. Bärbel Pelker: Art. „Fränzl, Ignaz“, in: 2MGG, Personenteil, Bd. 7. Kassel 2002, Sp. 37-39.

26 Vgl. Volkmar von Pechstaedt / Manuela Jahrmärker: Art. „Danzi, Franz“, in: 2MGG, Personenteil, Bd. 5. Kassel 2001, Sp. 401-411.

27 D. h. Stellenanwärter.

28 Johann Friedrich Hönicke (1755-1809) übernahm im März 1781 die Leitung des Orchesters an der Hamburger Oper; vgl. Josef Sittard: Geschichte des Musik- und Concertwesens in Hamburg. Altona 1890, S. 149.

29 Die Oper Rosamunde von Anton Schweitzer (1735-1787) erlebte am 20.1.1780 in Mannheim ihre Uraufführung; vgl. Franz Stieger: Opernlexikon, Titelkatalog, Bd. 3. Tutzing 1975, S. 1048.

30 Trummer (wie Anm. 2), S. 366.

31 Leider gibt es für diese Zeit keinerlei archivarische Belege.

32  Der aus Mittenwald stammende Johann Caspar Tiefenbrunner ist zwischen 1750 und 1787 nachweisbar und war außer für den Wallersteiner Hof auch am kurkölnischen Hof in Bonn und am kurtrierischen Hof tätig; vgl. Gustav Bereths: Die Musikpflege am kurtrieri- schen Hofe zu Koblenz-Ehrenbreitstein. Mainz 1964, S. 167 f. (Beiträge zur mittelrheinischen Musikgeschichte, Bd. 5); Grünsteudel (wie Anm. 3; 2000), S. 57 f.

33 ‚drittehalb’ = zwei und ein halbes; vgl. Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 2. Leipzig 1860, Sp. 1423.

34 Trummer (wie Anm. 2), S. 366.

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